
Vom Baum auf die Platte: Pilz mit Elektronikpotenzial
Ein zentraler Bestandteil der meisten elektronischen Geräte sind eine oder mehrere Leiterplatten, auch Platinen genannt. Sie dienen der Befestigung und Verbindung der elektronischen Bauteile und sind meist aus faserverstärktem Kunststoff, teilweise auch aus Hartpapier hergestellt. Beide Materialien sind weder nachhaltig noch lassen sie sich sinnvoll wiederverwerten.
Geisterpilz mit Potenzial
Forschende der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) haben jetzt durch Zufall herausgefunden, dass sich der sogenannte Glänzende Lackporling (Ganoderma lucidum) – ein in der traditionellen chinesischen Medizin als Heilmittel eingesetzter Pilz – zwar nicht für den Verzehr, wohl aber für den Bau elektronischer Bauteile eignet. Der Pilz wächst auf Bäumen und ist in Japan unter dem Namen Reishi, „Geisterpilz“, bekannt.
Erstaunlich resistente Pilzhaut
Das Augenmerk der Forscher galt vor allem der Pilzhaut, der sogenannten Myzelium-Haut, die dem Pilz dazu dient, sich gegen krankmachende Bakterien oder andere Pilze zu wappnen. Die leicht abziehbare Haut weist im getrockneten Zustand mehrere für die Elektronik interessante Eigenschaften auf: Sie ist etwa papierdick und isolierend, sehr flexibel und langlebig sowie höchst temperaturresistent: Auch mehr als 200 Grad Celsius können der Pilzhaut nichts anhaben. Wie im Fachmagazin Science Advances berichtet wird, ist die Haut des glänzenden Lackporlings zudem in einer gegen UV-Licht und Feuchtigkeit geschützten Umgebung mehrere hundert Jahre haltbar. In der Natur zersetzt sie sich innerhalb von wenigen Wochen.
Kompostierbare Leiterplatten
Erste Schritte in Richtung einer Anwendung der Pilzhaut sind die Forschenden der JKU bereits gegangen: Nach Angaben von Martin Kaltenbrunner aus dem Forschungsteam hätten sich die auf der Myzelium-Haut angebrachten metallenen Schaltkreise wie herkömmliche Platten aus faserverstärktem Kunststoff verhalten. Die Pilzhaut selbst habe sich im Test als hocheffektiv erwiesen: Selbst nach 2000-maligem Hin-und-her-Biegen habe sie noch immer als Leiterplatte funktioniert.
Wegwerfprodukte aus Pilzhaut
Und noch mehr konnte das Team von der JKU um Martin Kaltenbrunner zeigen: Die Pilzhaut eignet sich zumindest für den Einsatz in bestimmten Batterien, nämlich in solchen, die etwa in Bluetooth-Sensoren oder ähnlichen Geräten Verwendung finden. Aus Sicht der Wissenschaftler legt dies eine Anwendung bei Wegwerfprodukten nahe – beispielsweise Funketiketten oder tragbaren Sensoren.
Portable Geräte auf Pilzbasis
Auch in England stößt der Geisterpilz auf Interesse. So ist der an der University of the West of England forschende Andrew Adamatzky dem New Scientist zufolge der Überzeugung, dass eine Kombination der abgestorbenen Myzelium-Haut mit lebendigem Pilzmaterial Potenzial für den Bau von Robotern birgt. Ein solches Material könne womöglich als sensorische Roboterhaut genutzt werden. Denkt man, so Adamatzky, in diese Richtung weiter, könnten daraus irgendwann portable Geräte auf Pilzbasis entstehen.
Quelle: t3n.de, Jörn Brien, 15.11.2022
Bild: Tim Huang auf Pixabay